Michaela Maria Müller

Reportagen

Somalinimo in Hargeisa

Es ist halb neun Uhr morgens in Hargeisa. Vor dem Saal des Guled Hotels ist der Andrang groß. Besucher stehen Schlange an der Sicherheitskontrolle und warten auf den Einlass. Es ist Buchmesse in der Hauptstadt von Somaliland.

Auch im Saal herrscht bereits reger Betrieb. Dieser ist mit etwa dreihundert weinrot gepolsterten und gold eingefassten Sesseln bestuhlt. Sie geben dem sonst nüchternen Raum fast eine feierliche Atmosphäre.

Die ersten Besucher schlendern an den Auslagen entlang, schmökern in Büchern oder sind in Gespräche vertieft. Andere gönnen sich vor der ersten Veranstaltung einen Kaffee oder einen somalischen Tee, der auch Chaa genannt wird. Bezahlt wird in zwei Währungen: amerikanische Dollar oder in somaliländische Shilling. Der Hotelbesitzer geht derweil durch das Publikum und begrüßt jeden Gast mit Handschlag.

Eine Buchmesse ist nicht das erste, was man hier erwarten würde. Doch gerade sie ist in den letzten zehn Jahren zum Aushängeschild für Somaliland geworden. Der Staat am Horn von Afrika hat sich vor 25 Jahren von Somalia unabhängig erklärt, doch bislang hat ihn noch kein anderes Land anerkannt.

Wie gut es dort läuft, wissen die wenigsten. Die Somaliländer, wie sie sich nennen, sind stolz auf das, was sie fast ohne internationale Hilfe geschafft haben. Die Buchmesse gehört dazu.

Sprache und Identität

Die erste Veranstaltung an diesem Morgen ist eine Diskussion über Sprache und Identität. Auf dem Podium sitzen Gäste aus fünf verschiedenen Ländern: Kenia, Äthiopien, Dschibuti, Somaliland und England.

Zaynab Sharci ist Verlegerin und lebt in London. Ein Schwerpunkt ihres Programms liegt auf Büchern für den Spracherwerb somalischstämmiger Kinder in der Diaspora: CDs mit traditionellen Kinderliedern, Bilderbücher oder einfache Grammatiklehrbücher.

Der Titel ihres Bestsellers stammt von ihrem Sohn, berichtet sie. Es heißt „Daadah“, was auf Somali „Folge mir“ bedeutet. Warum der Spracherwerb eine so wichtige Rolle spielt, erläutert ihr Nachbar auf dem Podium, der englische Linguist Martin Orwin. Er unterrichtet Somali und Amharrisch an der Londoner School of Oriental and African Studies (SOAS): „Viele meiner Schüler sprechen ihre Muttersprache nicht fließend und schämen sich deshalb. Manche werden sogar von den Mitschülern gehänselt. Doch die Sprache öffnet ihnen ein Stück weit die Tür zu ihrer Identität.“

Ins Leben gerufen wurde die Buchmesse von Ayan Mahamoud und Jama Musse Jama. Sie lebt in London, er in Hargeisa. Große Worte über ihr Engagement, das Kontinente und Kulturen verbindet, machen sie nicht.

„Letztlich geht uns darum, die richtigen Leute zu vernetzen“, sagt Mahamoud. Eigentlich sei sie Eventmanagerin, gibt sie zur Auskunft. Doch dass dies eine bescheidene Beschreibung ist, weiß man auch in England. Unlängst wurde sie für ihre Arbeit mit einem Verdienstorden des Königshauses, dem Order of British Empire, ausgezeichnet.

Wie beim Wiederaufbau des Landes

Die Veranstaltung ist jetzt zu Ende. Die Teilnehmer verlassen unter Applaus die Bühne, gleichzeitig klingelt Mahamouds Telefon. Sie bespricht etwas mit dem Anrufer und bugsiert winkend die Gruppe für eine Erfrischung in den Garten.

Dort stehen viele kleine Pavillons, in denen die Kellner bereits für das Mittagessen die Tische decken. Nebenan wird gerade alles für ein Fernsehinterview aufgebaut. Die ehemalige First Lady und Gründerin eines Krankenhauses, Edna Adan gibt spontan ein Interview. Als der Kameramann seinen Kollegen nicht erreichen kann, springt die englische Schriftstellerin Nadifa Mohamed ein und stellt die Fragen. Ein wenig ist es bei der Buchmesse wie beim Wiederaufbau des Landes. Jeder packt mit an.

Das amerikanische Nachrichtenmagazin „Huffington Post“ bezeichnete die 79-Jährige unlängst als die „muslimische Mutter Teresa“. Eines ist sicher: Für alle Somaliländer ist sie ein Vorbild. Egal wo sie erscheint, suchen die Menschen die Nähe zu Adan. Sie hat 2002 ein Krankenhaus in Hargeisa gegründet, das Edna Adan Hospital.

Auf der Geburtenstation wurden dort inzwischen knapp 18.000 Kinder geboren. Außerdem bildet man Hebammen, Krankenschwestern und medizinisches Fachpersonal aus, und es gibt sogar eine eigene Apotheke. Adan nutzt ihre internationalen Kontakte, um das Land nach vorne zu bringen. Die Wand in ihrem Büro erzählt davon. Sie ist voll mit Erinnerungsfotos: Adan als junge Frau während ihrer Ausbildung zur Krankenschwester in London, als Frau des ersten Präsidenten Somalilands und während ihrer Reisen als Außenministerin.

„Ich war eine der ersten Mädchen, die hier zur Schule gehen durfte“, erinnert sie sich. Für viele ist dies noch immer nicht selbstverständlich. Wenn es um die Rechte der Frau geht, kommt Adans unnachgiebige Seite zum Vorschein. Männer und Frauen sind gleichberechtigt, das steht nicht zur Debatte für sie.

Kurz vor dem Mittagsgebet kehrt langsam Ruhe im Saal ein. Manche Gäste ziehen sich in einen der Pavillons zurück, wo das Mittagessen serviert wird: gekochtes oder gebratenes Fleisch mit Reis und Salat, danach frische Melone oder ein Glas Kamelmilch. Für die ausländischen Gäste eine Mutprobe. Man einigt sich darauf, dass die Milch nach geräuchertem Fleisch schmeckt.

Gemeinsame Erfahrung des Traumas

Das Gastland der Buchmesse ist in diesem Jahr Ghana. Aus der Hauptstadt Accra sind die Schriftstellerin Amma Darko, der Architekt Joe Addo und die Journalistin Esther Armah angereist. Sie wird später über etwas sprechen, was sie mit vielen Somaliländern teilt: die Erfahrung mit einem Trauma. Als der Bürgerkrieg ausbrach, ordnete der Diktator Siad Barre an, die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Das Bombardement dauerte Monate. Fast 250.000 Menschen verloren ihr Leben.

In Somaliland geht die Sonne früh unter, das ganze Jahr über gegen 18 Uhr. Doch dann erwacht die Stadt ein zweites Mal. Die Läden und Restaurants sind hell erleuchtet, die Menschen unterwegs. Sie haben die Stadt wieder aufgebaut. Im Guled Hotel decken freiwillige Helfer die Büchertische mit Tüchern zu. Bis zum nächsten Morgen.

Erschienen auf Qantara.de