Ich komme nach Hause. Neben dem Ofen taut das Brot. Ich nehme den Laib, presse ihn an das Schneidemesser der Brotmaschine. Die Maschine ächzt, dann streikt sie. Es gelingt nicht, vom halbaufgetauten Brotblock eine Scheibe abzuschneiden. Ich lege den Laib zurück neben den Ofen. Bald wird das Haus abgerissen. Ich gehe auf den Speicher.
Es riecht nach frischgewaschener Wäsche. Sie hängt an aneinander geknoteten Plastikschnüren und Sisalgarnen, die durch den Raum gespannt sind. Es ist eine Kochwäsche Euterlumpen. Zerschlissene, in Rechtecke zerrissene Handtücher, die sich auf den Wäscheleinen reihen. Morgens und abends werden sie beim Melken zum Saubermachen der Kuheuter gebraucht.
Im Dachgiebel haben sich die Wespen Nester gebaut, unheimliche graue Ovale, die sie mit ihrem Sekret auf die Ziegel und die Dachbalken geklebt haben. Aber die Wespen sind verstummt, die Nester verlassen.
Ich finde in einer Schublade eine kaputte Taschenuhr, eine Handvoll Faschingsorden, in Manteltaschen vergessene Münzen. Der Speicher war immer schon voll von Dingen, die im Alltag keinen Platz haben.
Ich streiche über das dunkle Holz der Vitrine. Ihre Türen sind aus graviertem Glas, die Enden der Seitenteile zu schlanken Säulen gedrechselt. Sie gehörte einem Mann, der vor den Nazis flüchten musste, sagte mir die Großmutter. Wenn ihre Auskunft stimmt, steht sie seit fast achtzig Jahren hier. Im Archiv finde ich eine Liste der jüdischen Bewohner Dachaus. Dreizehn Namen sind auf der Seite notiert.
An erster Stelle steht der Viehhändler Samson Gutmann. Er zieht erst nach München, dann nach Dachau. Mietet ein Haus in unserer Nachbarschaft, in der Freisinger Straße. Der Viehhändler aus Dachau und mein Urgroßvater Michael Müller, der Bauer aus dem angrenzenden Dorf – kannten sie sich?
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Erschienen im Merkur 826 im März 2018